Literaturrecherche

BUCHREZENSIONEN:

Martha Gellhorn – Reisen mit mir und einem anderen (2011)

Martha Gellhorn, eine US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin, schrieb in den 1950er Jahren einige Kriegsreportagen, für die sie in der ganzen Welt unterwegs war.
Als ich ihr Buch “Reisen mit mir und einem anderen” gelesen habe, fand ich es zunächst bemerkenswert, dass sie die Reportagen viele Jahre nach den tatsächlichen Reisen verfasst hat. Sie sagt selber, dass sie nach etlichen Auslandsaufenthalten vieles schnell wieder vergessen hat, stattdessen benutzt sie ihre zahlreichen Aufzeichnungen und Briefe an ihre Mutter von damals. Und trotzdem schafft sie es, dem*der Leser*in das Gefühl zu geben, unmittelbar dabei zu sein. In den zahlreichen Gefahrensituationen und ihrem Kennenlernen der verschiedenen Kulturen.

Martha Gellhorn schreibt sehr persönlich über ihre Reisen und schafft es auch nach Jahren noch, ihre Eindrücke und Gefühle rüberzubringen. Ich glaube, dass sie das auch durch ihre informelle Art des Schreibens schafft, mit der sie nahbar wirkt. Sie beschreibt ihren Tagesablauf, ihre Fortbewegungsmittel, ihre Aufenthalte, die Stimmungen von ihr und ihrem Begleiter und insgesamt hauptsächlich darüber, wie es ihr in der Fremde ergangen ist.

Egon Erwin Kisch – Der rasende Reporter (2001, Erstausgabe 1925)

Von Kisch habe ich “Unter den Obdachlosen in Whitechapel” in “Der rasende Reporter” gelesen. Er wählt einen ganz besonderen Ansatz um in eine andere “Welt” einzutauchen: Er verbringt eine Nacht in einer Obdachlosenunterkunft in London – um nicht erkannt zu werden, hat er sich dementsprechend gekleidet und wird zu einem Beobachter der Situation. Er schreibt auch über die Umstände und den Ablauf vor Ort, aber beschreibt vor allem das, was er von den anderen sieht. Es geht ihm meiner Meinung nach weniger darum, von sich zu erzählen, sondern mehr darum die Eindrücke, die er in der Unterkunft gewinnt, mit dem*der Leser*in zu teilen, die sonst wohl nie so eine Perspektive bekommen würden.

Er nutzt Metaphern und Vergleiche, um der Leserschaft die Abgründe dieses Ortes verständlich zu machen und beschreibt seine Umgebung sehr genau. Er ist Reporter und schafft es doch nur in die Position des Beobachters, weil er sich seiner Umgebung anpasst und sich tarnt.

Mir ist eine Stelle besonders aufgefallen:
“Der Reporter hat keine Tendenz, er hat nichts zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangen Zeugenschaft zu liefern, so verläßlich, wie sich eine Aussage geben lässt – jedenfalls ist sie (für die Klarstellung) wichtiger, als die geniale Rede des Staatsanwalts oder des Verteidigers. Selbst der schlechte Reporter – der, der übertreibt oder unverläßlich ist – leistet werkstätige Arbeit; denn er ist von den Tatsachen abhängig, er hat sich Kenntnis von ihnen zu verschaffen, durch Augenschein, durch ein Gespräch, durch eine Beobachtung, eine Auskunft. Der gute [Reporter] braucht Erlebnisfähigkeit zu seinem Gewerbe, das er liebt. Er würde auch erleben, wenn er nicht darüber berichten müßte. Aber er würde nicht schreiben, ohne zu erleben. Er ist kein Künstler, er ist kein Politiker, er ist kein Gelehrter […].” (S. 7) 

Georg Stefan Troller – Unterwegs auf vielen Strassen. Erlebtes und Erinnertes (2016)

Troller, der jahrelang das “Pariser Journal” gedreht hat, beschreibt in diesem Buch sein Leben als junger, jüdischer Mann zur Zeit und nach des Nationalsozialismus: Aus Wien kommend flieht er zunächst nach Paris, wird dann Soldat in Amerika und kehrt schließlich wieder nach Paris zurück. Er beginnt mit Radiobeiträge und steigt schnell ins neuaufkommende Fernsehgeschäft ein.

Er schreibt viele Jahre später über seine Jugend und schafft es trotzdem noch, den*die Leser*in mit in seine Welt zu nehmen: Er beschreibt die Orte, Straßen, Wohnungen und Hotels so eindrucksvoll, als würde er gerade noch davor stehen. Obwohl er schnell von einem Jahr ins andere springt, kann man ihm gut folgen. Er geht auf viele Details ein, vor allem über die verschiedenen soziale Milieus in denen er sich bewegt hat.

Troller bei Markus Lanz: https://www.youtube.com/watch?v=fjRv9fn-JqI

Meike Winnemuth – Das große Los. Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr. (2013)

Meike Winnemuth ist Journalistin und war 50 Jahre alt, als sie bei “Wer wird Millionär” 500.000 Euro gewinnt. Sie beschließt, mit dem Geld ein Jahr lang um die Welt zu reisen: Jeden Monat in einer andere Stadt wohnen.

Winnemuth schreibt ausgelassen und sehr persönlich über ihre Reise, ihre Begegnungen, Menschen, gute Tage, schlechte Launen, besondere Zufälle und das Gefühl der Freiheit, das sie immer begleitet hat. Ich habe die 329 Seiten verschlungen und war selbst nach dem Lesen schon etwas traurig, dass das Jahr dann vorbei war.

Sie wählt die Briefform für ihre Berichte und verschickt pro Monat einen Brief an einen besonderen Menschen aus ihrem Leben. Das beeinflusst natürlich auch ihren Schreibstil, mal sind es ihre Eltern, mal ihr erster Freund, ihrem jüngeren Ich oder ihre beste Freundin. Sie besucht auf Reisen Sydney, Buenos Aires, Mumbai, Shanghai, Honolulu, San Francisco, London, Kopenhagen, Barcelona, Tel Aviv, Addis Abeba und Havanna. Sie sieht die Welt und lässt sich von ihr mitnehmen, in die verschiedensten Winkel und Situationen.

Winnemuth wählt neben ein paar geplanten Aktionen in den Städten auch die Form des Derivé und besichtigt ihre Monatsziele in den ersten Tagen zu Fuß und ohne Ziel. So lernt sie Land und Leute kennen.

Die Briefform zu wählen ist eine interessante Form der Berichterstattung. Wenn ich dies mit den anderen Reise”tagebüchern” vergleiche, so fühle ich mich zwar nicht unmittelbar von Winnemuth angesprochen, weil ihre Texte explizite Empfänger haben, aber doch als stiller Beobachter einer Beziehung und der Vertrautheit, die so nur zur Leserschaft vielleicht nicht möglich gewesen wäre.

Meike Winnemuth schreibt lebendig, man folgt ihr auf die Reise ihres Lebens. Sie hat sie nicht als Arbeitsprojekt, sondern als Lebenstraum angetreten und obwohl sie sich selbst in den Mittelpunkt stellt (im Gegensatz zu Kisch), an keinen Ort reist nur um zu berichten (wie Gellhorn von Kriegen) oder auch nicht als Zeitzeugin von einem furchtbaren Regime erzählt (wie Troller in “Unterwegs auf vielen Straßen”), vermittelt sie etwas.

Unbeschwertheit, Mut und die Inspiration aufzubrechen.

Colin Ellard – Psychogeografie. Wie die Umgebung unser Verhalten und unsere Entscheidungen beeinflusst. (2018)

Ellard ist Neurowissenschaftler und Experimentalpsychologe an der University of Waterloo (Kanada). Er leitet dort das Urban Realities Laboratory, in dem er kognitive Neurowissenschaften mit Stadtplanung verbindet.

Er schreibt über den positiven Einfluss der Natur auf den Menschen und darüber, wie man ihn vielleicht eines Tages durch Virtual Reality erweitern (nicht ersetzen) könnte. Er beschäftigt sich außerdem mit dem Begriff “Zuhause” aus architektonischer Sicht und erforscht, warum wir uns in bestimmten Häusern/Gebäuden wohl fühlen.

Max Frisch – Tagebuch 1946-1949 (1950)

bestellt.
https://blogs.ethz.ch/digital-collections/2017/07/14/max-frisch-auf-reisen/

FILMREZENSIONEN:

Felix Stark und Selima Taibi – Expedition Happiness. Unterwegs von Alaska bis Mexiko. (2017)

Felix und Selima machen sich mit ihrem Hund Rudi in einem umgebauten amerikanischen Schulbus auf den Weg quer durch Amerika bis nach Mexiko. Sie zeigen den Zuschauer*innen beeindruckende Naturaufnahmen und ihr Leben im Bus.

Sie sagen zu Beginn des Films, dass sie in Deutschland nicht mehr glücklich waren und nun auf der Suche “nach dem Glück” sind, daher auch der Filmtitel. Doch nach dieser Ankündigung im Voice Over am Anfang wird sich nur noch wenig mit dem Thema beschäftigt – die beiden verbringen viel Zeit zu zweit im Bus oder in der Natur, es scheint als würden sie wenig andere Menschen treffen und über die Frage “wie man glücklich wird” oder “was Glück ist” wird kaum mehr gesprochen. Klar, dass die beiden eher unglücklich darüber sind, als sie Probleme an einigen Ländergrenzen bekommen und ihre Reisepläne ändern müssen, oder als ihr Hund krank wird. Aber im Grunde folgt der*die Zuschauer*in einem Paar, das gerne mal dem Alltag in Deutschland entfliehen möchte. Außer tolle Naturaufnahmen gibt es wenig zu sehen.

Selima schreibt auf der Reise die Musik für den Film, davon ist keine einzige Minute zu sehen.
Es ist trotzdem interessant den beiden auf ihrem Abenteuer zu folgen, mir persönlich fehlt für eine Filmvorstellung dann aber doch die Tiefe und die Auseinandersetzung mit der Frage, mit der sie sich offensichtlich auf den Weg begeben haben. Am Ende kehren sie früher als geplant nach Deutschland zurück, weil ihr Hund immer noch krank ist.

Patrick Allgaier und Gwendolin Weisser – Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt. (2017)

Patrick und Gwen nehmen die Zuschauer*innen mit auf eine über drei Jahre lange Reise rund um die Welt: Sie starten von ihrer Heimatstadt Freiburg und wollen so lange in den Osten reisen, bis sie aus dem Westen wieder nach Hause kommen.

Sie sind unterwegs, um neue Kulturen kennenzulernen, für die Begegnungen mit Menschen und um Natur zu erleben. Sie trampen, schlafen im Zelt und couchsurfen in großen Städten. Als nach drei Jahren ihr Sohn Bruno in Mexiko zur Welt kommt, steigen sie um auf einen kleinen Van.

Sie filmen vor allem die Begegnungen mit den Menschen die sie treffen, was einen ganz besonderen Blick in andere Kulturen ermöglicht: In fremde Wohnzimmer, über persönliche Geschichten und ganz viel Gastfreundschaft. Gwen und Patrick führen uns praktisch durch die Fremde, die dadurch gar nicht mehr so fremd scheint.

Und sie stellen sich unterwegs die Frage, was “Zuhause ist”.

INTERNETQUELLEN:

http://psychogeography.blogsport.de/was-ist-psychogeographie/
NN nowhere-nowhere.org

MUSIKINSPIRATION:

Tim Bendzko – Hinter dem Meer
Mogli – Wanderer
Ooyy – Retriever
ABBA – I wonder
Edith Whiskers – Home
Mo Torres – Zuhause
Cat Stevens – Wide World
Purple Disco Machine – Hynotized

Philipp Poisel – Zwischen Innen und Außen
(Dort wo ich herkomm’, halt ich es nie lange aus
Und wenn ich dann fort bin, denk immer ich an zu Haus
In all diesen Welten
Das andere ist so
Und es ist wies ist
Ich bin eigentlich froh)


Fynn Kliemann – Zuhause
Ziggy Alberts – searching for freedom