Field-Recording in Forschung und Kunst

Field-Recordings und ihre Verwendung

Field-Recording bedeutet die Aufnahme von Klängen der Welt. Dies können Aufnahmen von Lebewesen, Materialien, Kräften der Umwelt, menschlichen Geräuschen und interessanten Klangeffekten sein. Vom Prozess der Aufnahme bis hin zur Wiedergabe der Aufnahme in bearbeiteter oder originaler Form spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Das Abhören, Bewerten & Bearbeiten von Aufnahmen durch den/die Aufnehmende(n), das Mischen des Materials sowie die Wiedergabe/Aufführung in einem bestimmten Kontext und die emotionale Wirkung der Aufnahme auf ZuhörerInnen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Verwendung von Field-Recordings, die sich auf die Art der Aufnahme sowie die Präsentation auswirken. Erstens können Naturaufnahmen zu dokumentarischen Zwecken gemacht werden. Dabei wird versucht, die Präsenz von Menschen auszublenden und Naturereignisse möglichst eindrucksvoll ästhetisiert in Szene zu setzen. Auf künstlerischer Ebene gibt es 3 verschiedene Praktiken: die Akusmatik, die Soundscape-Komposition und die Klangkunst.

Field-Recording in der Kunst

Alle 3 künstlerischen Umgangsformen mit Field-Recordings beinhalten Formen der Bearbeitung der Klangaufnahmen. Ziel ist dabei die Intensivierung der sinnlichen Erfahrung bei ZuhörerInnen, um die emotionale Wirkung des Gehörten zu steigern. Möglichkeiten der Klangbearbeitung gibt es Mannigfaltige. Sie beziehen sich auf Änderung der zeitlichen, der spektralen oder der räumlichen Information des Klangs. Dies kann bedeuten, dass die Geschwindigkeit der Wiedergabe variiert wird oder dass Endlosschleifen aus einzelnen Bestandteilen des Klangs erstellt werden. Auch können Klangbestandteile entfernt werden und die Hüllkurve, das heißt das Ein- und Ausschwingverhalten der Klänge, verändert werden. Resonanzfrequenzen, die charakteristisch für einen bestimmten Klang sind, können überhöht oder gedämpft werden. Denkbar ist außerdem die Verwendung granulärer Methoden wie z.B. Time-Stretching oder das Schichten von Klängen in bestimmten Intervallverhältnissen übereinander. Um Bewegungen zu simulieren bieten sich Panning und Balanceveränderung genauso an, wie Crossfades, Filter und Halleffekte.

Alle 3 Genres fokussieren Details von Geräuschen und Alltagsklängen aber gehen dabei unterschiedlich mit den Aufnahmen um und verfolgen andere Bearbeitungsphilosophien.

Musique Concrète & Akusmatik

Akusmatik kommt von der konkreten Musik. Die entscheidendsten Konzepte dieses Ansatzes sind das Klangobjekt und das reduzierte Hören. Jeder mögliche hörbare Klang kann zum Klangobjekt werden, sei er natürlicher, künstlicher oder sprachlicher Natur. Die Arbeitsschritte der Akusmatik sind die Aufnahme des Klangs sowie seine Bearbeitung und Montage.

Reduziertes Hören versteht die sinnliche Wahrnehmung von Klang alleine schon als kreative Arbeit. Gemeint ist der aktive Versuch, sich auf das „reine Hören“ zu beschränken und den Klang von seiner Schallquelle bzw. seiner Aufnahmesituation zu entkoppeln. Klangaufnahmen im unbearbeiteten Zustand werden in diesem Zusammenhang Fragmente genannt. Ziel ist es, durch Bearbeitung dieser Fragmente den Klang zu abstrahieren und die Distanz zwischen den Klangqualitäten des Fragments und seiner „natürlichen“ Bedeutung zu erhöhen: Die signalhafte Wirkung für den/die HörerIn, die jeder Umwelt-Klang beherbergt und die Informationen über Ereignisse, die um uns herum passieren, enthält, soll entfernt bzw. verschleiert werden. So ist es HörerInnen nie möglich, sicher zu sein, was für ein Geräusch sie gerade wahrnehmen, nachdem es bearbeitet wurde.

Aufgabe des Künstlers ist es also, Eigenschaften des Klangs, die diese auditive Bedeutung in sich tragen, zu erkennen und gezielt zu verändern, um aus dem Klangereignis mit narrativer Bedeutung ein vom Kontext gelöstes musikalisches Objekt zu kreieren. Dieses musikalische Klangobjekt kann dann zum Baustein für eine Komposition werden, indem es in einen neuen musikalischen Zusammenhang mit Tonhöhen-, Rhythmus-, und strukturellen Formaspekten gestellt wird. Es entstehen hoch suggestive und atmosphärische Klanggebilde.

Soundscape-Komposition

Soundscape-Komposition basiert auch auf Aufnahmen der Geräusche der Umwelt. Das Thema solcher Kompositionen sind Soundscapes, das heißt reale (oder fiktive) Klangumgebungen und wie diese von Individuen wahrgenommen werden. Es geht nicht darum, Klänge losgelöst von ihrem Entstehungskontext als Bausteine eines neuen musikalischen Kontext zu verwenden, vielmehr geht es darum, die Erfahrung einer gesamten spezifischen, ortsgebundenen Klangumgebung einzufangen und zu ästhetisieren, zu verstärken oder aber auch neu zu kreieren.

Auch hier gilt, dass jeder Klang Teil einer Soundscape-Komposition werden kann. Entscheidend für den Soundscape-spezifischen Ansatz ist, dass die Bedeutungen des Ortes und der Zeit des Klangursprungs nicht entfernt werden. Stattdessen sind sie der Fokus der kreativen Arbeit an Soundscape-Kompositionen: Es wird versucht, eine bestimmte Klangumgebung zu isolieren und wiederholt erfahrbar zu machen. Um die räumliche Information eines Ortes dabei klanglich aufnehmen zu können, kommt für die Aufnahme meist zumindest stereophone Mikrofonierung zum Einsatz.

Die Aufgabe des Soundscape-Komponisten ist es also, Motive und Eigenschaften der Umwelt – das heißt den Klangkontext – aufzugreifen, in den Mittelpunkt zu rücken, zu verstärken und zu kommentieren. Man kann hierbei von einer Art detaillierter, klanglicher Schilderung sprechen. Die Klänge sollen anekdotisch-narrative Bedeutungen in Bezug auf Orte, Zeiten und die Hörwahrnehmung beherbergen und sich auch auf das Vorwissen sowie die Assoziationen und Wahrnehmungsmuster der HörerInnen bzgl. des sonifizierten Ortes beziehen. Durch welche Herangehensweisen der Komponist das erreicht, kann sich dabei von Fall zu Fall unterscheiden.

Die einfachste Möglichkeit ist, durch Programmnotizen und explizite Titel der Stücke Hilfestellung bei der Erkennung des Ortes zu geben. Außerdem kann in der klanglichen Umsetzung Bezug auf die den Klang generierenden Ereignisse und Kausalketten genommen werden oder durch Erklären der kompositorischen Herangehensweise innerhalb des Stücks. Auch bietet es sich an, Bewohner und Kenner des Ortes in die Schaffung der Komposition mit einzubeziehen, entweder indem sie ihre eigenen Klangportraits des Ortes erstellen, oder indem sie die für sie relevanten Klänge nominieren, die der Künstler dann in seiner Soundscape verarbeitet. Schließlich ist auch der Einbezug von verbaler Narration und Geschichten über den dargestellten Ort, sowie Unterstützung durch visuelle Reize denkbar.

Werden weitestgehend unbearbeitete Klänge verwendet, so besteht die Aufgabe darin, die zu verwendenden Klänge auszuwählen, zu bearbeiten und sie durch Mixing und Organisation miteinander stimmig in Beziehung zu setzen. Dies könnte man als Found-Sound-Ansatz bezeichnen. Die nächste Stufe der Bearbeitung ist die Abstraktion der vorgefundenen Klangumgebung: Klänge werden tiefgehend verändert oder abstrahiert. Gleichzeitig wird aber darauf geachtet, dass eine Verbindung zum Klangursprung in irgendeiner Form bestehen bleibt, beispielsweise indem sich die Organisation der einzelnen Klänge an den tatsächlichen Alltagsereignissen orientiert. Letztlich ist es sogar möglich die aufgenommene Umgebung so stark zu verändern, dass eine neue, künstliche Soundscape daraus entsteht. Wichtig ist dann, dass die artifizielle Umgebung im Zusammenspiel seiner Einzelelemente als „tatsächliche Umwelt“ kohärent und glaubhaft bleibt. Natürlich lassen sich auch abstrahierte mit unbearbeiteten Klängen kombinieren, solange der Bezug zum aufgenommenen Ort gewahrt bleibt. In solchen Fällen kann Spannung generiert werden, indem Kontraste zwischen den bearbeiteten und unbearbeiteten Klängen in Szene gesetzt werden, durch Überlagerung und nebeneinander Stellen verschiedener Versionen des selben Klangs.

Je nachdem wie die Komposition strukturell angelegt ist, ergeben sich verschiedene Blickwinkel der HörerInnen auf die entstehende Soundscape. Bestimmt die Struktur der Komposition das Erscheinen, Vergehen und die Bewegung der Klangereignisse sowie ihre Beziehungen untereinander, liegt eine fixierte Perspektive vor: Um die HörerInnen herum geschehen sich bewegende Klangereignisse die von einem bestimmten Punkt aus belauscht werden. Außerdem kann eine bewegte Perspektive umgesetzt werden. Hier „geschehen“ nicht nur Klänge an einem fixierten Ort, sondern es findet eine Entwicklung von einem Stadium zu einem nächsten statt. HörerInnen bewegen sich relativ zum Klanggeschehen räumlich und zeitlich. Dies kann beispielsweise durch die Aufnahme eines andauernden Prozesses umgesetzt werden, der innerhalb der Soundscape-Komposition in verkürzter Form dargestellt wird. Drittens können innerhalb einer Soundscape Perspektiven immer wieder rapide gewechselt, oder miteinander in Konflikt stehende Erscheinungen kombiniert werden. Dies nennt sich variable Perspektive.

Klangkunst

Klangkunst schließlich, beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Herangehensweise. Vielmehr können Field-Recordings auf unterschiedlichste Weise verwendet werden, wobei je nach Kontext eine Mischung verschiedener Methoden angewandt wird. Häufig anzutreffen ist die experimentelle Auseinandersetzung mit übersehenen oder versteckten Klängen, wie Hintergrundrauschen, Neben- oder Störgeräuschen. Diese unabsichtlichen Klänge werden zum Material für künstlerisches Tun erhoben. Die Suche nach versteckten Klängen bedingt häufig die Verwendung spezieller Aufnahmeausrüstung, wie zum Beispiel die Verwendung von Induktionsspulen oder Kontaktmikrofonen.

Fazit & Präsentationsformen

Zusammenfassend könnte man die akusmatische Herangehensweise als einen Sampling-Vorgang aus rein künstlerisch-eigennützigen Beweggründen bezeichnen, der vor allem Aufschluss über die ästhetischen Vorstellungen und Hörgewohnheiten des Komponisten gibt. Soundscape-Komposition hingegen ist eher eine Form des Berichts über quasi-ethnographische „Feldforschung“ in Bezug auf Klang, die der kondensierten (Re-)Präsentation eines Ortes dient.

Natürlich ist es auch denkbar, beide Ansätze zu kombinieren. Beispielsweise könnte sich eine relativ reale Klang-Repräsentation eines bestimmten Ortes mehr und mehr in eine musikalische, eigenständige und abstrakte Zusammenstellung von Klängen verwandeln oder umgekehrt. Die freie Kombination verschiedener Herangehensweisen und die Verwendung außergewöhnlicher Klänge & Ausrüstung deutet wiederum auf einen Fokus auf Klangkunst hin.

Die Wiedergabe von Field-Recordings bedeutet das Übertragen eines Klangraums bzw. einer Klangerfahrung in einen anderen Raum. Die wiedergegebene Klangumgebung wird in einen neuen Raum transferiert mit eigenen akustischen Eigenschaften. Es entsteht eine schizophone Überlagerung der Soundscape mit dem Wiedergaberaum. Dies bedeutet, dass die Wirkung einer Klangarbeit auch immer von der Art der Präsentation und ihrem Kontext abhängt. Da die Klangwahrnehmung der Umwelt dreidimensional bzw. kugelförmig erfolgt, und es beispielsweise bei der Soundscape-Komposition das Ziel ist, eine lebensechte, dreidimensionale Illusion einer klingenden Umwelt zu erschaffen, bietet sich hier bei der Wiedergabe die Verwendung von Mehrkanal-Lautsprecherarrays an. So wird erreicht, dass HörerInnen von der Klangumwelt umgeben sind: die Erfahrung bleibt immersiv und möglichst realistisch. Beim akusmatischen Stil ist die stereophone Wiedergabe unter Umständen zielführender, wenn es darum geht Klangobjekte aus dem ursprünglichen Kontext zu extrahieren. Die Klangkunst ist, als eklektischer Stil, als Mischung anderer Stile am offensten bei der Wahl der Wiedergabe/Präsentation. Beispiele der Umsetzung von Klangkunst sind Installationen oder sogenannte Audio-Walks.

QUELLEN

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